Urfaust
– Regisseur Voigtmann bemüht sich um eine zeitgenössische Inszenierung
Das alte Stück mit neuem Ensemble im Erfurter Opernhaus
Seit September 2009 bietet die Studiobühne des neuen Theaters Erfurt dem jugendlichen Publikum eine moderne eineinhalbstündige Fassung des Urfausts an.
Vermutlich werden viele Freunde des Theaters beim Betreten des im Opernhaus integrierten Studios entsetzt sein. Hier erwartet sie ein schmucklos, gar spartanisch eingerichteter Raum im „Legolandformat“. Die rundum offene, drehbare Zimmerkiste stellt dabei schon den Höhepunkt des Bühnenbildes dar. Über die gesamte Spielzeit muss der Zuschauer neben der schwindelerregenden Rotation des Würfels auch das Aufflimmern von Monitoren ertragen. Obwohl der Gebrauch von Medien lobenswert ist, beweist die Ausstatterin Hannah Hamburger wenig Gespür für deren Anwendung. Meiner Ansicht nach leidet dadurch die Atmosphäre des Stückes.
Der Anfang von Goethes Menschheitsdichtung erschien mir irritierend, da ich den Beleuchtungsassistenten mit dem ebenso, auf dem Dach der Zimmerkiste, anwesenden Mephisto (Reinhard Friedrich) verwechselte. Begleitet von grellen Xylophon-Klängen erwacht Faust, nach einer wahrscheinlich kurzen Nacht, gedanklich etwas verwirrt. Plötzlich beginnt er entschlossen nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Der „Philosoph“ und „Wissenschaftler“ muss erkennen, dass er in einem Dilemma steckt. Denn das alleinige theoretische Wissen wird Faust, dargestellt von Jürgen Bierfreund, nicht dazu befähigen, alles zu durchdringen. Am Rande der Verzweiflung begegnet ihm, der in Menschgestalt auftretende, Mephisto. Nach Abschluss des Paktes stehen dem „Philosophen“ nun alle erdenklichen Kräfte zur Verfügung. Beide Herren, mittleren Alters, treten mit kahlgeschorenen Köpfen auf. Während der Mephisto Reinhard Friedrich in seiner Rolle mit List und Witz als schelmiger Höllenfürst überzeugt, fehlt es Jürgen Bierfreund als Faust an Glaubwürdigkeit. Eine plausibel gespielte, tiefe Lebenskrise erfordert ein deutlich höheres Maß an Verzweiflung und Unzufriedenheit in der Darstellung.
Auch die Requisiten, wie die Plastikgartenstühle bei Fausts Brautschau erinnern mehr an eine Gartenparty. Ebenso kommt Fausts und Gretchens Spaziergang einem Trauerzug gleich. Beide wirken im Dialog fade und gelangweilt. Paola Trieschmann als Gretchen dringt den Zuschauern kaum zu Gehör, da sie beinahe flüstert. Im weiteren Verlauf der Handlung wird sie stimmlich glücklicherweise kräftiger. Ich hätte mir eine ausdrucksstärkere Figur für die Rolle der Magarete gewünscht. Ganz nach dem Leitspruch „[…] im Anfang war die Tat“ erkunden Mephisto und Faust Gretchens bescheidenes Heim. Der durchtriebene Teufel wählt den wohl günstigsten Zeitpunkt, um sein Opfer vollends in die Besinnungslosigkeit zu stürzen. Magarete hält sich nichtsahnend, während der Wohnungsinspektion nicht im Nachbargarten, sondern im Badezimmer auf und steht in ihrer ganzen Schönheit unter der Dusche. So bleibt es nicht aus, dass die beiden Männer einen Blick auf die Silhouette der jungen Dame erspähen.
Frank Voigtmann verleiht dem Stück beispielsweise durch den Austausch des Handlungsortes, im Vergleich zum traditionellen Urfaust eine „moderne Note“. Ob jedoch die junge Zielgruppe mit einer intimen Momentaufnahme erreicht werden kann und darf, bleibt fraglich.
Sehr lobenswert ist hingegen die Idee, Mephisto als Lehrkörper auftreten zu lassen. Fast ergeben trottet Faust dem Geist der Finsternis nach. Der im Stück so gegenwärtige Einfluss des Teufels und die Abhängigkeit seines „Vertragspartners“ zu ihm, setzt der Regisseur dagegen exzellent um. Viel Engagement bewies ebenso Maria-Elisabeth Weys in der Rolle der Marthe. Dies wurde besonders in der „Brunnenszene“ deutlich, welche hier in Erfurt mit alten Telefonapparaten dargestellt wurde. Die bürgerliche Marthe versucht ihre Freundin Gretchen zu erreichen, um sie über aktuelle Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Den telefonischen Wahlvorgang musste Weys durch viele „Tut, tut – Geräusche“ simulieren, aufgrund einer fragwürdigen Anweisung des Regisseurs.
Das naive, gottesfürchtige Gretchen wurde von Faust schließlich schwanger. Nachdem sie seine Antwort auf die Frage “Wie hälst du’s mit der Religion“ kennt, nimmt sie sich nach der Ermordung ihres eigenen Kindes schließlich selbst das Leben. Hierbei wird der Verrat Fausts an Magarete in einem letzen Gespräch dargelegt, welches nicht mehr zwischen ihnen selbst, sondern nur noch über einen Monitor ausgetragen wird.
Mit der im Urfaust erzählten Gretchentragödie brachte der junge Autor Goethe eine damals sehr aktuelle Situation von ledigen Frauen auf die Bühne. Er kannte derartige Schicksale aus eigener Erfahrung, da er als Minister des Weimarer Herzogs Carl August selbst einmal ein solches Todesurteil bestätigte.
Zusammenfassend möchte ich zu dieser Inszenierung in Erfurt anmerken, dass eine traditionelle Wiedergabe des Urfausts meinen Vorstellungen mehr entsprochen hätte. Regisseur Frank Voigtmann schafft es mit seiner Neubearbeitung des Stückes kaum, den Charakter des jahrhundertealten Werkes wiederzugeben. Insgesamt mangelte es der Darbietung an Spannung, auch die vielen Zeitraffer trugen nicht zum Verständnis der Tragödie bei. Zu meinen positiven Eindrücken zählten die Auftritte der bereits oben genannten Maria-Elisabeth Wey; ihr Spiel brachte Schwung und Heiterkeit in den Handlungsablauf.
Bildquelle zum Header:
http://www.wallcoo.net/paint/vista_art_walpapers_1024x768/images/%5Bwallcoo%5D_Faust_and_Marguerite_in_the_Garden.jpg, Stand: 16.04.2014
Das alte Stück mit neuem Ensemble im Erfurter Opernhaus
Seit September 2009 bietet die Studiobühne des neuen Theaters Erfurt dem jugendlichen Publikum eine moderne eineinhalbstündige Fassung des Urfausts an.
Vermutlich werden viele Freunde des Theaters beim Betreten des im Opernhaus integrierten Studios entsetzt sein. Hier erwartet sie ein schmucklos, gar spartanisch eingerichteter Raum im „Legolandformat“. Die rundum offene, drehbare Zimmerkiste stellt dabei schon den Höhepunkt des Bühnenbildes dar. Über die gesamte Spielzeit muss der Zuschauer neben der schwindelerregenden Rotation des Würfels auch das Aufflimmern von Monitoren ertragen. Obwohl der Gebrauch von Medien lobenswert ist, beweist die Ausstatterin Hannah Hamburger wenig Gespür für deren Anwendung. Meiner Ansicht nach leidet dadurch die Atmosphäre des Stückes.
Der Anfang von Goethes Menschheitsdichtung erschien mir irritierend, da ich den Beleuchtungsassistenten mit dem ebenso, auf dem Dach der Zimmerkiste, anwesenden Mephisto (Reinhard Friedrich) verwechselte. Begleitet von grellen Xylophon-Klängen erwacht Faust, nach einer wahrscheinlich kurzen Nacht, gedanklich etwas verwirrt. Plötzlich beginnt er entschlossen nach dem Sinn des Lebens zu suchen. Der „Philosoph“ und „Wissenschaftler“ muss erkennen, dass er in einem Dilemma steckt. Denn das alleinige theoretische Wissen wird Faust, dargestellt von Jürgen Bierfreund, nicht dazu befähigen, alles zu durchdringen. Am Rande der Verzweiflung begegnet ihm, der in Menschgestalt auftretende, Mephisto. Nach Abschluss des Paktes stehen dem „Philosophen“ nun alle erdenklichen Kräfte zur Verfügung. Beide Herren, mittleren Alters, treten mit kahlgeschorenen Köpfen auf. Während der Mephisto Reinhard Friedrich in seiner Rolle mit List und Witz als schelmiger Höllenfürst überzeugt, fehlt es Jürgen Bierfreund als Faust an Glaubwürdigkeit. Eine plausibel gespielte, tiefe Lebenskrise erfordert ein deutlich höheres Maß an Verzweiflung und Unzufriedenheit in der Darstellung.
Auch die Requisiten, wie die Plastikgartenstühle bei Fausts Brautschau erinnern mehr an eine Gartenparty. Ebenso kommt Fausts und Gretchens Spaziergang einem Trauerzug gleich. Beide wirken im Dialog fade und gelangweilt. Paola Trieschmann als Gretchen dringt den Zuschauern kaum zu Gehör, da sie beinahe flüstert. Im weiteren Verlauf der Handlung wird sie stimmlich glücklicherweise kräftiger. Ich hätte mir eine ausdrucksstärkere Figur für die Rolle der Magarete gewünscht. Ganz nach dem Leitspruch „[…] im Anfang war die Tat“ erkunden Mephisto und Faust Gretchens bescheidenes Heim. Der durchtriebene Teufel wählt den wohl günstigsten Zeitpunkt, um sein Opfer vollends in die Besinnungslosigkeit zu stürzen. Magarete hält sich nichtsahnend, während der Wohnungsinspektion nicht im Nachbargarten, sondern im Badezimmer auf und steht in ihrer ganzen Schönheit unter der Dusche. So bleibt es nicht aus, dass die beiden Männer einen Blick auf die Silhouette der jungen Dame erspähen.
Frank Voigtmann verleiht dem Stück beispielsweise durch den Austausch des Handlungsortes, im Vergleich zum traditionellen Urfaust eine „moderne Note“. Ob jedoch die junge Zielgruppe mit einer intimen Momentaufnahme erreicht werden kann und darf, bleibt fraglich.
Sehr lobenswert ist hingegen die Idee, Mephisto als Lehrkörper auftreten zu lassen. Fast ergeben trottet Faust dem Geist der Finsternis nach. Der im Stück so gegenwärtige Einfluss des Teufels und die Abhängigkeit seines „Vertragspartners“ zu ihm, setzt der Regisseur dagegen exzellent um. Viel Engagement bewies ebenso Maria-Elisabeth Weys in der Rolle der Marthe. Dies wurde besonders in der „Brunnenszene“ deutlich, welche hier in Erfurt mit alten Telefonapparaten dargestellt wurde. Die bürgerliche Marthe versucht ihre Freundin Gretchen zu erreichen, um sie über aktuelle Geschehnisse in Kenntnis zu setzen. Den telefonischen Wahlvorgang musste Weys durch viele „Tut, tut – Geräusche“ simulieren, aufgrund einer fragwürdigen Anweisung des Regisseurs.
Das naive, gottesfürchtige Gretchen wurde von Faust schließlich schwanger. Nachdem sie seine Antwort auf die Frage “Wie hälst du’s mit der Religion“ kennt, nimmt sie sich nach der Ermordung ihres eigenen Kindes schließlich selbst das Leben. Hierbei wird der Verrat Fausts an Magarete in einem letzen Gespräch dargelegt, welches nicht mehr zwischen ihnen selbst, sondern nur noch über einen Monitor ausgetragen wird.
Mit der im Urfaust erzählten Gretchentragödie brachte der junge Autor Goethe eine damals sehr aktuelle Situation von ledigen Frauen auf die Bühne. Er kannte derartige Schicksale aus eigener Erfahrung, da er als Minister des Weimarer Herzogs Carl August selbst einmal ein solches Todesurteil bestätigte.
Zusammenfassend möchte ich zu dieser Inszenierung in Erfurt anmerken, dass eine traditionelle Wiedergabe des Urfausts meinen Vorstellungen mehr entsprochen hätte. Regisseur Frank Voigtmann schafft es mit seiner Neubearbeitung des Stückes kaum, den Charakter des jahrhundertealten Werkes wiederzugeben. Insgesamt mangelte es der Darbietung an Spannung, auch die vielen Zeitraffer trugen nicht zum Verständnis der Tragödie bei. Zu meinen positiven Eindrücken zählten die Auftritte der bereits oben genannten Maria-Elisabeth Wey; ihr Spiel brachte Schwung und Heiterkeit in den Handlungsablauf.
Bildquelle zum Header:
http://www.wallcoo.net/paint/vista_art_walpapers_1024x768/images/%5Bwallcoo%5D_Faust_and_Marguerite_in_the_Garden.jpg, Stand: 16.04.2014